Die Referenten der Sommerschule in Sighet haben in den letzten Jahren immer wieder geschildert, wie die Häftlinge in geschlossenen Autos an den Stadtrand gebracht wurden und in einem Massengrab verschwanden. Das Schweigen war vollkommen und herrschte über den Tod hinaus. Dieses Schweigen wird heute im Memorial Sighet gebrochen. Zahlreiche Besucher aus dem In- und Ausland finden sich täglich in der Gedenkstätte ein. Ihre nachdenklichen Blicke wandern über die Flure und durch die Zellen des Museums, die Opfer des Kommunismus blicken ihnen von den Bildern an der Wand entgegen. Die Säle und Zellen des Memorials bieten mehr als Geschichtsunterricht. Viele Besucher lernen erst hier das Leiden eines ganzen Volkes über 45 Jahre kennen.
Das Terrorregime des Kommunismus forderte Tausende von Toten. Die Briefe, Dokumente, Berichte, Tagebücher, Artikel, Zeitzeugenberichte, die in den Gefängnissen angefertigten Kreuze aus Knochen, Schreiben auf Mullbinden, Texte mit Eigenblut auf Papier, aber auch der Saal über den Kitsch-Kommunismus, Bessarabien, den König Mihai von Rumänien, die Frauen und Kinder im Gefängnis, die Partisanengruppen in den Bergen, die Dichter, Pfarrer – alle zusammen sind Zeugen der Bösartigkeit des kriminellen Regimes von 1946 bis 1989.
Die 17. Sommerschule war dem Thema „25 Jahre nach der Revolution von 1989“ gewidmet und war zugleich die 21. Veranstaltung des Memorial Sighet der Bürgerakademie Bukarest mit Ana Blandiana, Romulus Rusan und Ioana Boca, finanziell unterstützt von der Konrad Adenauer Stiftung, dem Polen-Institut, der Tschechischen Botschaft, Bukarest, und einem privaten Sponsor. Zum Auftakt sprach die ehemalige Justizministerin und heutige EU-Parlamentarierin Monika Macovei zum Thema „Die Justiz als Form der Erinnerung“. Sie erinnerte die Studenten an ihre moralische Pflicht, der Opfer des Kommunismus zu gedenken und die Vergangenheit zu kennen. Die Gedenkstätte Memorial Sighet mit der Sommerschule stünde als Zeuge dafür. Die Studenten fragten Macovei nach dem Vortrag nach ihrer Zukunft in Rumänien. Sie antwortete ihnen offen, dass die Chancen, in diesem Land in der Politik oder im diplomatischen Dienst tätig zu sein, nicht rosig seien, solange diese Regierung ihre Politik nicht ändere und die Korruption nicht besiegt werde.Besucher der 17. Sommerschule: Blick in den Gefängnisflur der einstigen Haftanstalt, heute Gedenkstätte. Foto: Florin EsanuJardar Seim, Historiker aus Oslo, referierte über seine Zeit als Student 1965-1966 in Bukarest, während Alexandra Bellow, Witwe des Literatur-Nobelpreisträgers Saul Bellow, der im Roman „Der Dezember des Dekans“ an dunkle Machenschaften im Bukarest der fünfziger Jahre erinnert hatte, eben aus jener Zeit berichtete, als ihre Eltern als Diplomaten und Minister im Amt der Kommunisten tätig waren. Eine Ausstellung Professor Nicolae Scurtus über das rumänische Exil wurde in den Konferenzräumen eröffnet. Professor Brândușa Armanca aus Temeswar referierte über die „Freiheit der Presse“, während Zeitzeugen der Revolution aus Temeswar, wie Daniel Vighi, Miodrag Milin und Traian Orban, und der aus Bukarest, wie Lucia Hossu-Longin, Doina Jela, Petre Mihai Băcanu und Dan Voinea, an die Dezembertage 1989 erinnerten. Abends sang die Folksängerin Ada Milea Lieder zu Gedichten von Gellu Naum, Ion Mureşan u.a. und fand großen Anklang bei den in den Gefängnisfluren versammelten Studenten und zahlreichen Besuchern aus der Stadt.
Am nächsten Tag moderierte Professor Alexandru Zub aus Jassy ein Gespräch zweier Professoren aus der Republik Moldau, Anatol Petrencu und Gheorghe Palade, mit zwei Studenten aus Bălţi (Belz) zu „Bessarabien“. Am letzten Konferenztag sprachen internationale Gäste über das „Jahr 1989 in West- und Osteuropa“: Petruska Sustrova aus Prag, Pressesprecherin der Charta 77, Alicja Gluza-Wancerz aus Warschau, Mitglied der Solidarność, Helmut Müller-Enbergs, Historiker aus Berlin, György Gyarmati aus Budapest, Alexander Dimitrov aus Sofia, Jardar Seim aus Oslo, Mihai Wurmbrand aus den USA, Professor Liviu Tîrau aus Klausenburg und Katharina Kilzer aus Frankfurt am Main erörterten verschiedene Aspekte der Herbstrevolution von 1989. Am Nachmittag des Abschlusstages wurden das Jüdische Museum „Elie Wiesel“ und das Museum der Maramuresch besucht. Die Veranstaltung klang abends bei einem Lagerfeuer mit Musik und Tanz aus.
Der Historiker Jardar Seim aus Oslo sagte: „Sighet ist ein Tor durch das Gefängnis, durch das die eine Hälfte Europas sich öffnet und der Wahrheit Platz sucht.“
n-sighet.html