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Siebenburgische Zeitung: Kampf gegen das Vergessen: Ana Blandiana zum 70

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Der Name der Dichterin Ana Blandiana ist in allen Schichten des Volkes, dem sie angehört, bekannter als der Name jedes deutschen Schriftstellers der Gegenwart bei den Deutschen. Das hängt nicht nur mit der öffentlichen Präsenz von Ana Blandiana seit über einem halben Jahrhundert zusammen, sondern mehr noch damit, dass ihre Gefühle der Ablehnung des Sozialismus der Jahre 1945-1989/90 von der überwiegenden Mehrheit der Rumänen geteilt wurden. Als 1959 ihr Gedicht „Originalitate“ erschien und den massiven Unwillen der KPR erregte, wurde sie mit landesweit diskutiertem Schreibverbot belegt und so, wie sie später notierte, „als verbotene Dichterin bekannt, noch ehe ich es als Dichterin war“. Zwischen den Zeilen hatte sie mitten im Terror der stalinistischen Gheorghiu-Dej-Ära nicht Regimekritik geübt, sondern, weitaus gewagter, ihrem Widerwillen gegen das System Ausdruck verliehen – ein Akt der Courage, dessen Ausmaß sich heute keiner mehr vorstellen kann.

Es gilt hier eine grundlegende Feststellung: Während zur gleichen Zeit DDR-Autoren ihre Unzufriedenheit mit Mängeln des Systems äußerten, das System jedoch bejahten, lehnte die 17-jährige Rumänin das System ab. Anders als die Deutschen in der DDR sympathisierte die Masse der Rumänen nicht mit dem Sozialismus. Ihrem Ruf, dem Volk aus der Seele zu sprechen, wurde die am 15. März 1942 in Temeswar geborene Otilia-Valeria Coman, die als Ana Blandiana in die Literaturgeschichte einging, auch nach der Aufhebung des Schreibverbots nicht untreu: In ihren Lyrik- und Prosatexten taucht immer wieder die Metpaher der Ablehnung auf, von einem Volk mit Spürsinn für die literarische Nuance und für das Raffinement der getarnten Attacke sehr wohl verstanden – und goutiert. Wenn „die Blandiana“ im Gedicht „Dies irae, dies illa“ („Dies ist der Tag des Zorns“) den Vers schreibt: „… zweifelt nicht,/ der Tag wird kommen/ gleißend wie eine Degenklinge,/ die im Licht erzittert“, oder das Gedicht „Namenlos“ mit den Zeilen beginnt: „Ununterbrochen reden wir von ihm,/ so wie du unentwegt/ mit der Zunge den schmerzenden Zahn berührst“, und dann fortfährt: „Ein Festtag, wenn wir ihn vergessen,/ ein Fluch das Leiden seiner Nennung“, dann verstand jeder in dem mit Kerkern übersäten Land, was und wer gemeint war – und was Blandiana dabei riskierte. Nota bene: Die 13 Jahre ältere und bewundernswerte Christa Wolf (*1929) erging sich derweil in der DDR in „Regimekritik“ und blieb bis heute dem unseligen, die Menschen verachtenden System verbunden.Ana Blandiana im Europäischen Parlament in ...Ana Blandiana im Europäischen Parlament in Brüssel, Oktober 2011. Foto: Constantin Duma Die Akzeptanz der Ana Blandiana im Volk erklärt sich aber auch – und nicht zuletzt – mit dem Ton ihrer Lyrik: Er wächst unmittelbar aus dem Melos der Volkspoesie der Rumänen. Er wurde und wird von ihr überhöht, neu artikuliert, modern akzentuiert, blieb aber in der Verwurzelung unverkennbar. Sie kultiviert ihn auf eine Weise wie kein zweiter zeitgenössischer Poet ihres Volkes. Der Klageton der berühmten Volksballade „Mioriţa“ ist in ihm ebenso lebendig wie der Ton der Revolte in Mihai Eminescus (1850-1889) „Gebet eines Dakers“. Er ist sogar aus Gedichten mit anspruchsvoller Bildungsthematik herauszuhören: „Apollo“, „Hölderlin“, „Pietà“, „Ars moriendi“, „Kolosseum“, „Ikone“ o.a. belegen es. Wenn sie über den hellenischen Gott der Künste Apollo schreibt: „kleide dich mit dem engen Gewand dieser Verse“, wenn sie im „Pietà“-Gedicht zur Formulierung findet: „Erlöst im überwundenen Leid/ schließ in die Arme mich/ und wiege leicht mich und verstohlen“, oder in „Hölderlin“ über den Schreinermeister und den seit einem Vierteljahrhundert in dessen Obhut lebenden Hölderlin dichtet: „wenn aus den hellen Gewässern des Raumes/ sie miteinander treten/ und sich gemeinsam auf ergrauten Wahnsinnsrossen/ hinein begeben in die Finsternis“, dann ist der innere Klang und die Bildgestaltung von jener Eloquenz, die jeder versteht, von der jeder innerlich berührt wird. Beides handhabt sie mit einer Meisterschaft, die an die Volkslieder-Interpretationen der legendären Maria Tănase erinnert: Abgründig und zugleich fasslich, mythisch und zugleich modern.

Ihre charakterliche Substanz bewies Ana Blandiana nicht allein in Zeiten des absolutistischen Sozialismus. Ihr Format als homo politicus zeigte sich in bewundernswerter Komplexität erst recht nach der Revolution 1989/90. Die für die Präsidentschaft des PEN-Clubs – der internationalen Autorenvereinigung mit Sitz in London – und für ein hohes Staatsamt in Rumänien diskutierte Frau, angefeindet, mit Gift und Dreck beworfen von Neidern und alten Polit-Seilschaften, gründete gemeinsam mit dem Zeithistoriker und Schriftsteller Romulus Rusan – mit dem sie seit 1960 verheiratet ist – und anderen Gleichgesinnten die „Academia Civică“ und die Gedenkstätte „Memorial Sighet“, eine Forschungs-, Ausstellungs-, ­Museums- und Tagungsstätte in der nordrumänischen Stadt Sighetu-Marmaţiei mit der Zielvorgabe, die Verbrechen des Kommunismus im Land aufzudecken, sie wissenschaftlich zu erfassen und die Ergebnisse öffentlich zugänglich zu machen. Die im ehemaligen, riesenhaften k.u.k. Hochsicherheitsgefängnis – die Provinz Maramuresch, in der Sighet liegt, war bis 1918 habsburgisches Kronland – unter dem Vorsitz der Dichterin arbeitenden Historiker machten die Institution zu einer der größten ihrer Art in Europa. Bibliothek, Archiv, Schauräume, Vortragssäle, Kerkermuseum mit Exponaten etc. bieten Zeithistorikern aus der ganzen Welt Möglichkeiten der Forschung und Präsentation. Sie halten bei den alljährlichen Politischen Sommerkursen Vorträge, die in umfangreichen Buchreihen publiziert werden. Dauer- und Wechselausstellungen ziehen zigtausend Besucher an. Der Massenfriedhof mit den Gebeinen der unter ­Gheorghe Gheorghiu-Dej hier exterminierten ehemaligen Geisteselite des Landes wurde zum Wallfahrtsort. Ana Blandiana ist nicht nur Präsidentin, sie ist die Seele der Einrichtung, deren Tätigkeit die Konrad-Adenauer-Stiftung fördert und deren Sommerkurse der berühmte französische Historiker Stéphane Courtois („Das Schwarzbuch des Kommunismus“, 1997) leitet.

Ana Blandiana weiß, dass mit dem Sturz des Systems das Gespenst Kommunismus noch lange nicht besiegt ist. Dem vorzubeugen im Auftrag der Hoffnung ist ihr und ihrer Mitarbeiter Anliegen. Was „Academia Civică“ und „Memorial Sighet“ nach internationalen Maßstäben leisten, ist beispielhaft für alles, was dieser Art in Europa geschieht – es ist die Errichtung von Leuchttürmen im Ozean der Vergesslichkeit. Die einzig mögliche Konsequenz, die das Jahrhundert der großen Diktaturen zulässt: der Kampf gegen deren Wiederheraufkunft.

Und so ist der Jubilarin gleich in mehrfachem Sinne zuzurufen: Ad multos annos, Ana Blandiana!

Hans Bergel

Dr. h.c. Hans Bergel wurde 2000 zum Ehrenmitglied der Academia Civică ernannt, er ist seither jährlich mit Vorträgen im Rahmen der Politischen Sommerkurse der Akademie und mit Texten zur Zeitgeschichte in deren Buchreihe „Analele Sighet“ vertreten; er übertrug ins Deutsche sowohl einen Band (Lyrik) von Ana Blandiana als auch einen Band (Politikgeschichte) von Romulus Rusan.

Ana Blandiana

PIETÀ

Heller Schmerz, untertänig ließ mich der Tod
in deine Arme zurückkehren, fast wie ein Kind.
Du weißt nicht, ist zu danken
oder zu weinen
ob dieses Glücks,
Mutter,
mein Leib, entrissen dem Geheimnis,
gehört nur dir allein.
Deine süßen Tränen netzen mir die Schulter
und sammeln ruhig sich am Schlüsselbein.
Wie gut das tut!
Die unverstandenen Reisen und die Wörter,
die Jünger, die stolz dich und erschrocken machen,
Vater, der Verdächtigte, Schweigende, Wachende,
alles liegt hinter mir.
Erlöst im überwundenen Leid
schließ in die Arme mich
und wiege leicht mich und verstohlen.
Wieg, meine Mutter, mich.
Drei Tage nur sind mir gegeben auszuruhen
im Tod und in deinem Schoß.

Das Gedicht „Pietà“ ist dem Band „Die Versteigerung der Ideen. Gedichte von Ana Blandiana. Auswahl, Übersetzung aus dem Rumänischen und Nachwort von Hans Bergel“ entnommen; 138 Seiten. Johannis Reeg Verlag, Bamberg 2009. ISBN 978-3-937320-16-8.